In den kleinen Ort Kill Devil Hills in North Carolina pilgern heute Touristen, um die Lebensleistung zweier Männer zu würdigen, die quasi im Alleingang den letzten Schritt zum Motorflug bewältigten. Der 17. Dezember ist ein bedeutender Jahrestag!

Auf einer kaum bewachsenen Düne an Amerikas Ostküste ragt ein 18 Meter hohes Monument auf, 1932 eingeweiht. Darauf sind zwei Namen eingeschlagen, damit man sich für immer an sie erinnere: Wilbur Wright und Orville Wright. Das Bauwerk reckt sich auf einer inzwischen befestigten Wanderdüne, die den beiden Brüdern zwischen 1900 und 1902 als Startpunkt für hunderte ihrer Gleitflüge diente. AERO INTERNATIONAL nimmt Sie mit auf eine spannende Geschichtsreise!

Historische Planungen im kleinen Ort Kitty Hawk

Ein Besucherzentrum birgt ein sehenswertes Museum mit allerlei Schautafeln und historischen Artefakten. Davor sind im Sand neben einer Holzbude drei Strecken mit Steinen markiert. Rückblende: Der 17. Dezember 1903 ist ein Donnerstag. Am Fuß des „Big Hill“, wie die Wrights die höchste Erhebung der Kill Devil Hills getauft haben, knattert sich vormittags um 10.30 Uhr ihr selbstgebauter Vierzylinder-Motor warm. Der stramme Wind bläst mit 27 Meilen pro Stunde aus Nord-Nord-Ost. Der Atlantik draußen birgt einen Schiffsfriedhof.

Charles Rolls (links), Mitbegründer von Rolls-Royce, neben Wilbur Wright. Rolls starb als erster Brite bei einem Flugzeugabsturz. Bild: Archiv

Die nächste Ortschaft, das winzige Kitty Hawk, liegt sechs Kilometer weiter nördlich. In zwei Bretterbuden zwischen den Dünen hausen die Wrights und ihr Flugzeug. „Wil“ ist 36, „Orv“ 32 Jahre alt. Die beiden Brüder aus Dayton, Ohio, sind schon seit Ende September hier und sehen mit Besorgnis, dass sich über die Pfützen eine Eisschicht legt. Das Zeitfenster für ihre fliegerischen Experimente würde bald geschlossen sein.

Erfolg geht auf unzählige Fehlschläge zurück

Erst neun Tage vorher war der motorisierte  Tandem-Zweidecker des renommierten Professors Samuel Pierpont Langley bei einem  Startversuch per Katapult von einem Hausboot in den Potomac-River geklatscht – zum zweiten Mal. Der Gelehrte aus Washington D.C., hatte für die US-Army gearbeitet. Ein  Haufen staatliches Geld war vernichtet. 

Wie aus einem zeitgenössischen Slapstick-Film mutet dieser Flugzeugtransport der ersten Jahre an. Bild: National Archives

Jetzt sind die Wrights am Zug. Anders als  Langley haben die beiden, die bislang nur  einer Handvoll Luftfahrt-Insidern bekannt  sind, stets mit eigenem Geld hantiert. Bis  jetzt haben sie höchstens 2000 US-Dollar in  ihre Fliegerei gesteckt, so hat es Wilbur später  einmal ausgerechnet, und jeder davon war  mit Bedacht ausgegeben worden. Effizienz ist  die Erfolgsformel der zwei spröden Brüder. 

„Wright Cycle Co.“ steht für Qualität

Ihren Lebensunterhalt verdienen sie seit  1892 mit Fahrrädern, als Händler und Hersteller. Dieser Sport, der um 1900 boomt,  kommt ihren Fähigkeiten und Neigungen  sehr entgegen. Ihr kleiner Laden samt Werk statt, der handgefertigte Typen wie das „Van  Cleve“ und den „Flyer“ hervorbringt, reicht für bescheidenen Wohlstand der beiden  anspruchslosen Junggesellen. Die Wrights  liefern saubere Arbeit zu reellen Preisen.  „Wright Cycle Co.“ steht selbstbewusst über  dem Eingang ihres Ladens in Dayton.  

Von dort haben sie alles in die eintausend Kilometer entfernten Kill Devil Hills mitgeschleppt: Werkzeug, Konserven, ihre  zerlegten Fluggeräte. 1899 hatte ihnen das  US-Wetterbüro diesen kargen Ort für ihre Experimente empfohlen – des stabilen Winds  und der Hindernisfreiheit wegen, nicht wegen der Einsamkeit. Die ist allerdings ein willkommener Nebeneffekt. 

Langer Weg bis zum Erfolg

Mit Gleitern haben sie im September  1900 hier angefangen und sich beharrlich nach vorne getestet. Rückschläge gab es  genug. 1902 haben sie ihren dritten Gleiter  um ein bewegliches Seitenruder ergänzt und mit der Tragflächenverwindung gekoppelt. Die ist eine Vorstufe zu Querrudern und sorgt für die Steuerbarkeit um die Längsachse. Das war der Durchbruch zur vollendeten Dreiachs-Steuerung von Flugzeugen und wird noch Gegenstand eines aufreibenden Patentkriegs, der die Wrights viel Kraft und Nerven kosten soll, ehe der  Fortschritt darüber hinweggeht. 

Der Sprung vom Gleiter zum Motorflug zeug erfordert die Lösung zweier Probleme:  Noch ist kein leichter Flugmotor zu haben,  und es muss noch ein effektiver Propeller  entwickelt werden. Nach abschlägigen Anfragen bei Automobilbauern wird den Brüdern klar, dass sie sich wieder einmal selbst an die Arbeit machen müssen. Charles Taylor, ihr treuer Mechaniker, fertigt – mittels Skizzen und weniger Werkzeugmaschinen – die Komponenten eines ziemlich grobschlächtigen Motors mit vier liegenden Zylindern. 

Das Wright Memorial aus der Luft. Unten sind Runway und Vorfeld des First Flight Airport zu sehen. Bild: Bob Webster

Nach sechs Wochen Bauzeit beginnt das 64 Kilogramm schwere Aggregat zu husten. Die Wrights ermitteln als Leistung ganze zwölf PS. Ausreichend, finden sie. Parallel dazu tüfteln sie – aufgrund eigener Überlegungen und Berechnungen – an ihren schlanken Schubpropellern und einer gegenläufigen Kettentransmission. Am Schluss kommt alles zusammen, was ein Motorflugzeug braucht.

Ankunft Kitty Hawk: 25. September 1903

Stürme haben das Lager aus dem Vorjahr verwüstet. Das schlechte Wetter deutet einen frühen Winter an. Ein zweiter Schuppen soll das Werkzeug aufnehmen – und das Motorflugzeug Flyer I. Das 275 Kilogramm schwere Gerät benötigt eine knapp 20 Meter lange Holzschiene zum Anrollen und Starten; Räder sind auf diesem Sand völlig sinnlos. Im November liegt erstmals das Geknatter des Vierzylinders samt rasselnder Transmission über dem Strand. Aber nichts läuft richtig: Fehlzündungen, beschädigte Antriebswellen, gelockerte Zahnräder zehren an den Nerven der Brüder und kosten wertvolle Zeit.

Das imposante Denkmal ist Wilbur und Orville Wright gewidmet. Bild: Rolf Stünkel

Aufmunternde Worte gibt es in diesen kritischen Wochen nur von ihrem Besucher Octave Chanute, dem großen alten Mann der amerikanischen Luftfahrt, bei dem in diesen Jahren alle Fäden zusammenlaufen. Um den Druck noch größer zu machen, müssen die Wrights abwarten, ob Professor Langley seinen mächtigen „Aerodrome“-Apparat in die Luft bringen kann. Der namhafte Wissenschaftler und Sekretär der Smithsonian Institution in Washington hat viel Geld und Arbeit investiert, um das flugfähige Modell seines Tandemflüglers (der 1896 erfolgreich geflogen war) in eine manntragende Großversion zu übertragen.

US-Regierung stoppt Zuschuss für Brüder Wrights

Nach dem ersten Fehlschlag am 7. Oktober folgt das peinliche Finale am 8. Dezember mit gleichem Ergebnis. Einstweilen wird die US-Regierung kein Geld mehr in Flugmaschinen „schwerer als Luft“ versenken; die Wrights werden es noch zu spüren bekommen. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses treffen sie letzte Vorbereitungen. Orville kehrt am 11. Dezember mit neuen Propellerwellen aus Dayton in ihr Fliegerlager zurück.

Ein erster Flugversuch am Montag, 14. Dezember, mit Wilbur am Steuer, verläuft enttäuschend. Kein Wind. Die Startschiene hatten sie am Big Hill bergab verlegt, um schneller in Schwung zu kommen. Nach drei Sekunden ist die Fahrt verbraucht und der Flyer I überzogen. Eine Landekufe geht zu Bruch und das Höhenleitwerk wird beschädigt, was zwei Tage Bastelei erfordert. Inzwischen hat der Wind beträchtlich aufgefrischt, und es ist deutlich kälter geworden.

17. Dezember: Ein besonderer Tag für die Wrights

Am 17. Dezember ist der Apparat wieder abflugbereit. Ein paar Seenotretter aus Kitty Hawk haben beim Transport geholfen. Sie stehen mit den Händen in den Taschen im kalten Wind und verfolgen, was kommt. Diesmal klemmt sich Orville in den Flyer I, während der Motor warmläuft und die Holzpropeller surren. Um 10.35 Uhr löst „Orv“ die Sperrklinke, die den Flyer I noch zurückhält. Der Gegenwind entspricht fast der Eigengeschwindigkeit des Fluggeräts, das kaum auf 50 Kilometer pro Stunde kommt.

Der Apparat nimmt so gemächlich Fahrt auf, dass „Wil“ mühelos am rechten Randbogen mitlaufen kann, um die Maschine auszubalancieren. Einer der Seenotretter, John Thomas Daniels Jr., drückt just in dem Moment auf den Auslöseballon der goldrichtig postierten Plattenkamera, als sich der Flyer I gerade ein paar Fuß über das Ende der Startschiene erhoben hat. Es entsteht eines der berühmtesten Fotos der Technikgeschichte. Später schreibt Orville: „Der Kurs des Flugs war aufregend. Regellos von oben nach unten. (…) Die Bedienung des vorderen Höhensteuers war schwierig, weil es zu nahe an der Flugzeugmitte angebracht war.“

Zwölf Sekunden später und 36 Meter weiter ist der Flug schon beendet. Die fünf Augenzeugen wissen nicht recht, weshalb sich die Brüder so freuen; ihre Gleitflüge waren länger und weiter gewesen. Noch dreimal startet der Flyer I an diesem Tag. Der längste Flug, mit Wilbur am Knüppel, dauert bereits 59 Sekunden und führt 255 Meter weit. Bei der harten Landung brechen wieder die Landekufen. Dann greift eine Windböe unter die Flächen und wirft den Apparat um. Das war’s.

Flyer I fliegt nicht mehr, Der Jubel ist groß

Der beschädigte Flyer I fliegt nie wieder (und empfängt heute die Besucher des Nationalen Luft- und Raumfahrtmuseums in Washington). Ein Telegramm informiert die Wright-Familie zuhause über den geglückten ersten kontrolliert gesteuerten Motorflug. Danach geschieht: fast nichts. Die Zeitungsmeldungen über das Ereignis in den Dünen von Kitty Hawk sind ungenau oder haarsträubend übertrieben – und versanden bald. Die Wrights ziehen sich zurück, um in aller Ruhe ihr Flugzeug zu vervollkommnen.

Die verbesserten Flyer II und Flyer III werden 1904 und 1905 nicht mehr in Kitty Hawk erprobt, sondern auf einer weitläufigen Viehweide vor den Toren Daytons, „Huffman Prairie“ genannt. Danach widmen sich die Brüder vornehmlich der Umsetzung ihrer epochalen Leistungen in harte Dollars. 1908 treten sie wieder als Piloten ins Licht der Öffentlichkeit: mit umjubelten Flügen in Amerika (Orville) und Europa (Wilbur). Wilbur, der aggressivere und agilere der beiden Brüder, stirbt schon 1912 an Typhus – 1948 sein Bruder Orville.

Text: Stefan Bartmann