27.10.2016 Fast 400 Flüge mit 40 000 Passagieren fallen bei Eurowings aus – und der Streik soll kommende Woche noch verschärft werden. Darunter leiden erneut die Fluggäste. Ständig Tarifstreit mit Piloten, Begleitern oder Bodenpersonal: Was ist nur los im Flugverkehr? Düsseldorf/Berlin (dpa) – Der Flugbegleiter-Streik beim Billigflieger Eurowings hat am Donnerstag große Teile des Flugverkehrs […]

27.10.2016

Fast 400 Flüge mit 40 000 Passagieren fallen bei Eurowings aus – und der Streik soll kommende Woche noch verschärft werden. Darunter leiden erneut die Fluggäste. Ständig Tarifstreit mit Piloten, Begleitern oder Bodenpersonal: Was ist nur los im Flugverkehr?

Düsseldorf/Berlin (dpa) – Der Flugbegleiter-Streik beim Billigflieger Eurowings hat am Donnerstag große Teile des Flugverkehrs der Linie lahmgelegt. 40 000 Passagieren waren betroffen. Für die kommende Woche kündigte die Kabinengewerkschaft Ufo eine Ausweitung auf zwei Streiktage an. Das Klima zwischen Geschäftsführung und Gewerkschaft ist mehr als frostig. Ufo durfte nicht einmal das Gelände vor der Eurowings-Zentrale in Köln für eine Kundgebung nutzen. Warum wird der Konflikt so verbissen ausgetragen und was geht schief in der Luftverkehrsbranche?

Was ist der Auslöser des Arbeitskampfes?

Konkret geht es um die Bezahlung des Kabinenpersonals bei Eurowings Deutschland – das sind ganze 450 Beschäftigte, von denen zumindest ein Teil gar nicht von Ufo, sondern von der Gewerkschaft Verdi vertreten wird. Sieben Jahre hatte Ufo vergeblich über Gehaltserhöhungen verhandelt, obwohl das Gehaltsniveau innerhalb des Lufthansa-Konzerns am untersten Rand steht. Viel Spielraum gebe es angesichts der knallharten Konkurrenz dennoch nicht, argumentiert die Linie. Man habe über drei Jahre gestreckt Erhöhungen und außerdem Zusatzleistungen angeboten. Eurowings beziffert den Gesamtwert auf ein Plus von sieben Prozent. Ufo erklärt, von diesem Angebot nur in der Zeitung gelesen, es aber niemals schriftlich erhalten zu haben.

Wie kann sich denn ein Streik so weniger Flugbegleiter so stark auswirken?

Die Gewerkschaft Ufo hat einen zeitgleichen Streik bei der größeren Schwestergesellschaft Germanwings organisiert und trifft damit den Gesamtbetrieb der Marke Eurowings hart. Ansatzpunkt bei der Germanwings waren offene Tarifverhandlungen zum Thema Teilzeit. Das Unternehmen hält das für «absurd» und einen Trick. Die Verhandlungen zur Teilzeit hätten zuvor drei Jahre kaum Fortschritte gemacht, ohne dass das jemanden besonders gekümmert habe, sagte ein Sprecher. Die Fluglinie habe ohnehin nahezu alle Teilzeitwünsche der Beschäftigten berücksichtigt. Die Fluglinie prüft deshalb den Gang vors Arbeitsgericht. Sie hält den Streik für unverhältnismäßig.

Wieso gibt es denn so viele unterschiedliche Fluggesellschaften bei der Lufthansa?

Das hat mit dem Konstrukt des neuen Billigfliegers Eurowings zu tun. Lufthansa-Chef Carsten Spohr will die Marke als Plattform aufbauen, an dem sich die unterschiedlichsten, auch externen Fluggesellschaften beteiligen können. Bislang hat Spohr dort vor allem eigene Gesellschaften wie die Eurowings GmbH und die Germanwings untergebracht. Auch Besatzungen der Lufthansa-Beteiligung SunExpress sind mit an Bord, die Konzerngesellschaft Brussels Airlines und geleaste Air-Berlin-Jets sollen folgen. Weil sich im Inland die Gewerkschaften gegen schlechtere Tarifbedingungen wehren, wurde zudem die Eurowings Europe in Wien aus der Taufe gehoben, die unter anderem eine Basis auf Mallorca gründen will. Auch bei den Netzgesellschaften besteht eine bunte Vielfalt mit unterschiedlichen Kosten- und Tarifstrukturen bei Lufthansa, Swiss und Austrian Airlines.

Warum gibt es in der Luftfahrt so viele Gewerkschaften?

Daran ist der Lufthansa-Konzern nicht ganz unschuldig. Er hat 2001 bei der Kerngesellschaft Lufthansa einen ersten Vertrag mit der Vereinigung Cockpit abgeschlossen, die bis dahin als reiner Berufsverband aufgetreten war. Die Piloten fühlten sich nach der Auflösung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft von der Neuschöpfung Verdi nicht mehr angemessen vertreten und verfolgten eigene Ziele. Der Sonderweg mit einer Gewerkschaft außerhalb des DGB führte zu Begehrlichkeiten bei den Flugbegleitern, die mit der Ufo ebenfalls eigene Verträge auch bei anderen Gesellschaften erstritten. Verdi ist vor allem beim Bodenpersonal der Lufthansa, aber auch bei einzelnen Fluggesellschaften wie der Tuifly nach wie vor im Rennen.

Ständig Pilotenstreiks, dann das Bodenpersonal, jetzt die Kabinencrews – was ist nur los in der deutschen Luftfahrt?

Der Markt schrumpft in Deutschland: Im ersten Halbjahr 2016 ging das Geschäft branchenweit um 0,8 Prozent zurück – bei sechs Prozent Wachstum weltweit. Das erzeugt starken Spardruck auf alle Teile der Branche – und wütende Reaktionen. Zudem drücken die europäischen Billigflieger wie Ryanair, Easyjet, Wizz, Vueling oder Transavia mit Macht in den deutschen Markt. Erstes Opfer des gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs droht Air Berlin zu werden. Die deutsche Nummer zwei wird schon seit Jahren nur noch mit Millionenspritzen ihres Großaktionärs Etihad aus Abu Dhabi am Leben gehalten.

Was hat das alles mit den Billigfliegern zu tun?

Die Konkurrenz durch schnell wachsende Billigflieger hat in der europäischen Luftfahrt fast alles geändert. British Airways hat sich komplett auf die Langstrecke mit dem Heimat-Drehkreuz London zurückgezogen. Andere ehemalige Staatsflieger wie Lufthansa oder Air France können mit ihren Kostenstrukturen nicht mithalten und gründen folglich eigene Billigflotten, um nicht noch mehr Marktanteile zu verlieren. Hier wollen sie möglichst niedrige Gehaltsstrukturen durchsetzen, was aber nur zum Teil klappt. So werden die Piloten der Germanwings nahezu genauso gut bezahlt wie bei der Mutter Lufthansa. Im Lufthansa-Konzern sind die Piloten der Austrian am billigsten – und damit die Zielvorgabe für die anderen.

Heizt der Konkurrenzkampf der Gewerkschaften untereinander die Arbeitskämpfe an?

Ganz sicher. Der aktuelle Eurowings-Fall ist dafür ein sehr gutes Beispiel, denn der Ufo-Streik fällt genau in die Zeit von parallelen Verhandlungen der Verdi mit Eurowings, die für diesen Freitag (28.10.) geplant sind. Die beiden Gewerkschaften rangeln darum, wer bei der kleinen Eurowings GmbH mehr Mitglieder hat und damit im Sinne des neuen Tarifeinheitsgesetzes dort auch die Tarifverträge abschließen darf. Möglicherweise wird das Unternehmen zum ersten Fall in Deutschland, in dem notariell ermittelt werden muss, welche Gewerkschaft im Betrieb die meisten Mitglieder hat.

Rolf Schraa und Christian Ebner, dpa