Zahlreiche Autohersteller arbeiten an autonomen Shuttles für den Stadtverkehr. Doch wann sie wirklich auf die Straße kommen, ist unklar. Tokio/Wolfsburg (dpa/tmn) – Ob er als Kind gerne Jules Vernes gelesen hat, das hat Rouven Remp nicht verraten. Doch zumindest im Beruf kann sich der Produktmanager der Daimler-Tochter Smart offenbar gut mit Utopien anfreunden. So hat […]

Zahlreiche Autohersteller arbeiten an autonomen Shuttles für den Stadtverkehr. Doch wann sie wirklich auf die Straße kommen, ist unklar.

Tokio/Wolfsburg (dpa/tmn) – Ob er als Kind gerne Jules Vernes gelesen hat, das hat Rouven Remp nicht verraten. Doch zumindest im Beruf kann sich der Produktmanager der Daimler-Tochter Smart offenbar gut mit Utopien anfreunden. So hat er im Herbst auf der IAA in Frankfurt den Smart Vision EQ auf die Bühne fahren lassen – im Wortsinn.

Denn als erstes Auto aus dem Daimler-Konzern braucht der futuristische Zweisitzer keinen Fahrer mehr, sondern sucht sich seinen Weg immer und überall alleine. Und zwar nicht nur auf der Messebühne, sondern auch im Stadtverkehr. Das zumindest ist die Utopie, die Remp in Tokio für ein paar Meter einem ersten Realitätstest ausgesetzt hat.

Und seine Chefin Annette Winkler hat keinen Zweifel daran, dass sie bald wahr wird. «Spätestens in der Mitte der nächsten Dekade werden wir solche Fahrzeuge auf der Straße haben», sagt die Smart-Chefin und sieht in der 2,69 Meter langen Elektro-Studie die Zukunft von Sharing-Diensten wie Car2Go. Wenn die Smarts erst einmal autonom fahren, jederzeit und überall verfügbar sind und nicht mehr der Kunde zum Auto kommen, sondern das Auto zum Kunden, dann werden Akzeptanz und Auslastung weiter steigen, ist Remp überzeugt.

Und wenn die Elektronik die Verteilung der Fahrzeugflotte optimiert, dann können mit weniger Autos mehr Kunden befördert werden. Erst recht, wenn das Auto sogar während der Fahrt geteilt wird. So haben die Schwaben eine Art Dating-App programmiert, mit der sich wildfremde Menschen zur gemeinsamen Fahrt zusammenfinden und so den Weg und die Kosten teilen können.

Bislang hat Daimler mit den Studien bei Mercedes das autonome Fahren als Luxusgut positioniert, das den reichen Kunden wertvolle Zeit schenkt. Mit dem Smart EQ schwenken die Schwaben auf einen Trend ein, der mindestens genauso groß ist. Denn spätestens seit Google vor drei Jahren sein autonom fahrendes Ei präsentiert hat, fantasieren zahlreiche Autohersteller und Mobilitätsdienstleister wie Uber oder Lyft von solchen Roboter-Taxen und autonomen Mini-Bussen, die den Verkehrskollaps in den Städten verhindern oder zumindest möglichst lange hinauszögern wollen.

Volvo zum Beispiel kooperiert dafür mit Uber, in San Francisco testet General Motors eine autonome Version des Chevrolet Bolt, der bei uns als Ampera-e verkauft wird. Und VW hat für den autonomen Kurzstreckenverkehr in Ballungsgebieten die rollende Schuhschachtel Sedric entwickelt. Die soll nach Angaben von VW-Digitalchef Johann Jungwirth noch in diesem Jahrzehnt in den ersten Städten eingesetzt werden. Wie alle anderen Roboter-Taxen wird sie über eine App gerufen, kommt alleine zum Kunden, fährt ans Ziel der Wahl und macht sich danach bereit für die nächste Fahrt, erläutert Jungwirth.

Die womöglich ambitioniertesten Pläne hat allerdings der Ford-Konzern: Firmenchef Bill Ford hat angekündigt, dass er bereits ab 2021 eine Flotte von führerlosen Fahrzeugen in einem eigenen Taxi- oder Carsharing-Projekt auf die Straße bringen will: «Und dabei reden wir nicht über Dutzende oder Hunderte Autos in einer unbedeutenden Kleinstadt», sagt Ford. «Sondern wir planen mit Zehntausenden Fahrzeugen und einem Einsatzgebiet von der Größe und der Bedeutung New Yorks, Chicagos oder Los Angeles – inklusive der Autobahnen zum Flughafen.»

Denn auch wenn allein in Amerika jede Minute 30 Neuwagen verkauft werden, würden in dieser Zeit eben auch 125 000 Taxen oder Uber-Fahrer und 60 000 Carsharing-Autos gebucht. «Deshalb sind neue Mobilitätsdienstleistungen bald mindestens genau so wichtig wie ein neues Fahrzeugmodell», ist Ford überzeugt.

Technische Hürden lassen die Entwickler dafür kaum mehr gelten. Zwar brauchen sie noch präzisere Karten, und die Sensoren sind aktuell noch so groß, dass sie bei Mercedes etwa eine V-Klasse füllen statt in den Smart zu passen. «Doch das sind Aufgaben, die wir in drei, vier Jahren gelöst haben», sagt Remp und hofft, dass bis dahin auch die Gesetzgeber so weit sein werden.

Zwar gehen Experten tatsächlich davon aus, dass Robotaxen ein großer Markt sind: Nicht umsonst prognostiziert zum Beispiel Goldman Sachs bis zum Jahr 2030 für autonome Flotten ein Geschäftsvolumen von 220 Milliarden Dollar. Doch so recht kann noch keiner sagen, zu welchen Lasten deren Einführung geht, sagt Renault-Designchef Laurens van den Acker, dessen Advanced-Design-Departement diesen Trend natürlich auch auf dem Radar hat. Sicher wird das auch zu Lasten des öffentlichen Nahverkehrs gehen», ist er überzeugt. «Doch in der Rushhour, wenn alle zum Büro oder in den Feierabend wollen, oder nach einem Fußballspiel mit 60 000 Zuschauern, bleiben Bus und Bahn die erste Wahl.»

Zugleich fürchtet er allerdings, dass die Robotertaxen auch zu Lasten des Privatwagens gehen könnten. «Denn heute sehen viele das Taxi als Luxus, und wer sich überall hinfahren lassen würde, müsste dafür viel mehr bezahlen, als ihn der eigenen Wagen kostet», rechnet van den Acker vor. «Wenn allerdings einmal der Fahrer als teuerster Posten in dieser Rechnung wegfällt, wird das Taxi vielleicht bald billiger als das eigene Auto.» Das sei ein Szenario, auf das sich die Hersteller besser einstellen sollten.

Das sind auch Gedanken, die Chris Gubbey und Patrick Fullen umtreiben. Der eine ist Chef der London Electric Vehicle Company und hat gerade ein neues Taxi für die britische Hauptstadt vorgestellt. Und der andere sitzt seit über 30 Jahren am Steuer so eines Black Cabs. Beide wollen von der schönen neuen Roboter-Welt nichts wissen.

Gubbey macht sich erst einmal keine Sorgen, weil das Taxi seiner Firma das erste in London ist, das rein elektrisch fährt und damit die strengen Zulassungsregeln erfüllt, die mit dem Jahreswechsel gelten. «Damit sind wir erst einmal fit für die Zukunft», sagt er. Und falls sich in absehbarer Zeit doch mal etwas ändern sollte, arbeiten der Mutterkonzern Geely in China und die Schwestermarke Volvo in Schweden bereits mit Hochdruck am Autopiloten, den Gubbey irgendwann genau wie die Motoren und das Cockpit des Taxis aus dem Konzern-Fundus übernehmen kann.

Auch Fullen macht sich so recht keine Sorgen. Für eine Fotofahrt in Tokio, auf der Teststrecke oder einem mehr oder minder verkehrsberuhigten Privatgelände mag das noch angehen, räumt er ein. Aber nachdem er allein drei Jahre lang die Schulbank drücken musste, bis er seine Taxifahrerprüfung in der Tasche hatte, ist er überzeugt: «Bis sich ein Robotertaxi in London zurechtfindet, bin ich längst in Rente.»