Der Vater des Copiloten hat den Jahrestag des Germanwings-Unglücks genutzt, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein Gutachten in seinem Auftrag führt viele Details an, die angeblich Zweifel an der Alleinschuld seines Sohnes wecken. Experten kann es nicht überzeugen. Berlin/Haltern (dpa) – Mit provokanten Aussagen am zweiten Jahrestag der Germanwings-Katastrophe hat die Familie des Todespiloten […]

Der Vater des Copiloten hat den Jahrestag des Germanwings-Unglücks genutzt, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein Gutachten in seinem Auftrag führt viele Details an, die angeblich Zweifel an der Alleinschuld seines Sohnes wecken. Experten kann es nicht überzeugen.

Berlin/Haltern (dpa) – Mit provokanten Aussagen am zweiten Jahrestag der Germanwings-Katastrophe hat die Familie des Todespiloten Andreas Lubitz neue Wunden gerissen. Hinterbliebene der Opfer reagierten verärgert, die Fachwelt wies die erhobenen Vorwürfe gegen die offiziellen Ermittlungen zurück. Für die Behörden steht weiterhin fest: Der Copilot hat die Germanwings-Maschine mit 150 Menschen an Bord vor zwei Jahren vorsätzlich gegen einen Felsen gesteuert.

Günter Lubitz, der Vater des Copiloten, erklärte am Freitag in Berlin hingegen, alle Ermittlungsbehörden hätten sich «auf einen an Depressionen erkrankten Menschen konzentriert und andere Aspekte vernachlässigt». Es sei nicht erwiesen, dass sein Sohn den Jet absichtlich ins Felsmassiv gelenkt habe. «Wir sind auf der Suche nach der Wahrheit.»

Diese Aussagen ausgerechnet am zweiten Jahrestag der Katastrophe wurden von Opfer-Vertretern als «Affront» und «geschmacklos» bezeichnet. Die durch das Gutachten kritisierten Ermittler im In- und Ausland wiesen die Vorwürfe vehement zurück – ebenso die Pilotenvereinigung Cockpit. Auch die Bundesregierung erklärte, sie habe keine Zweifel an den bisherigen Ermittlungsergebnissen.

Pünktlich zum Jahrestag reichte der Anwalt Christof Wellens Klagen beim Landgericht Düsseldorf ein, mit denen er höhere Schmerzensgelder für die Angehörigen von fünf Opfern erstreiten will. «Teilweise haben nahe Angehörige noch nichts erhalten, teilweise nur den Betrag in Höhe von 10 000 Euro», teilte er auf Anfrage mit. Dies werde dem Leid nicht gerecht. Das Gericht konnte den Eingang der Klagen zunächst nicht bestätigen. Der Germanwings-Mutterkonzern Lufthansa wollte sich zu Einzelfällen nicht äußern, verwies aber auf geleistete Zahlungen.

Flugunfallexperte Tim van Beveren hat sich im Auftrag der Familie Lubitz mit dem Unglück am 24. März 2015 in den französischen Alpen befasst. Er zählte am Freitag eine Reihe von Details auf, mit denen er Vorgehen und Rückschlüsse der offiziellen Ermittler infrage zog: «Man kann nicht einfach so sagen: «Andreas Lubitz ist schuldig.»»

«Wir müssen damit leben, dass er in den Medien als depressiver Massenmörder dargestellt wurde und noch wird», sagte Günter Lubitz. Doch betonte er: «Unser Sohn war zum Zeitpunkt des Absturzes nicht depressiv.» Die Ermittler waren in ihrem Abschlussbericht zum Unglück von psychischen Problemen des 27-Jährigen ausgegangen.

Dem Abschlussbericht der Behörden zufolge hatte er den Flugkapitän vor dem Aufschlag der Maschine aus dem Cockpit ausgesperrt. «Es gibt für uns keinen Anlass, an der Art und den Ergebnissen der Unfalluntersuchungsbehörde zu zweifeln», teilte am Freitag das Bundesverkehrsministerium mit. Auch die Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung wies die gegen ihre Behörde erhobenen Vorwürfe in aller Form zurück. Die Pilotenvereinigung Cockpit sieht die Kritik am Abschlussbericht ebenfalls als unberechtigt an: «Da sind bei unseren Experten bisher (…) keine Fragezeichen geblieben.«

Der Flugexperte van Beveren hingegen sprach von Vorverurteilung und Spuren, die nicht verfolgt worden seien. Möglicherweise habe es am Jet Probleme mit der Cockpit-Verriegelung gegeben, behauptete er. Er habe Informationen erhalten, dass sich eine Crew dieses Jets einmal selbst ausgesperrt habe. «Es ist nicht untersucht worden.»

Van Beveren führte aus, man wisse nicht, was sich vor zwei Jahren abgespielt hat. «Wir haben alle Vermutungen. Aber Vermutungen sind keine Beweise.» Die Ermittler hätten sich schon nach 48 Stunden auf eine Absturzursache festgelegt. «Etwas Vergleichbares habe ich in den vergangenen 25 Jahren nicht erlebt.» Er verwies auch auf Turbulenzen, die es am 24. März 2015 über dem Absturzgebiet gegeben habe. Etliche andere Piloten hätten an dem Tag niedrigere Flughöhen gewählt.

Der Schulleiter Ulrich Wessel aus Haltern, wo eine Gedenkfeier für Schüler im abgestürzten Jet stattfand, nannte die Pressekonferenz des Lubitz-Vaters eine «Provokation, ein Affront gegenüber den Eltern». Spanische Hinterbliebene sprachen von Respektlosigkeit.

In Haltern kamen die 1200 Schüler des Joseph-König-Gymnasiums sowie Lehrer, Bürger und Angehörige zusammen, um den Verunglückten zu Gedenken. 16 Schüler und zwei Lehrerinnen waren damals unter den Opfern. Um Punkt 10.41 Uhr – der exakten Absturzzeit vor zwei Jahren – herrschte Stille, für fünf Minuten gedachten alle schweigend der Opfer. Viele umarmten sich oder weinten leise. Am Ende legten viele von ihnen weiße Rosen vor einer Stahltafel ab, in der die Namen der Opfer eingraviert sind – das zentrale Gedenkelement an der Schule.

Auch am Unglücksort in den französischen Alpen gibt es jetzt ein solches Element des Gedenkens. Es wurde am Freitag im Rahmen einer Trauerfeier mit rund 500 Angehörigen im nahegelegenen Ort Le Vernet enthüllt. Es ist eine vergoldete Kugel mit einem Durchmesser von fünf Metern, die aus 149 Elementen besteht – für jedes Todesopfer ein Element, außer für den Copiloten Andreas Lubitz. Die Skulptur wurde laut Lufthansa nach den Wünschen der Angehörigen gefertigt.

Der örtliche Bürgermeister betonte die Verpflichtung, an die Opfer zu erinnern. «Für unsere Gemeinde ist das so ein ungeheures Ereignis, dass wir die Pflicht haben, weiterzumachen, zum Respekt der Familien und der Opfer», sagte Bernard Bartolini der Regionalzeitung «La Provence». Er ist Bürgermeister der Gemeinde Prads-Haute-Bléone, zu der der Absturzort in den Bergen gehört. «Das hat unser Gebiet geprägt, und wird es noch für lange Zeit prägen», sagte er.